Zach Williams: Es werden schöne Tage kommen

Bereits die erste Erzählung ist beunruhigend. Ein Erzähler kämpft sich irgendwo in den USA durch einen heftigen Schneesturm ins Büro. Wegen des Wetters ist außer dem Sicherheitsmann Manny und einem Kollegen namens Shel niemand da. Man kennt sich und man redet sich mit Vornamen an. Aber es gibt eine komische E-Mail, die immer wieder den Spam-Filter des Firmen-Servers umgehen kann und dann auf allen Mitarbeiterrechnern landet. „TruthFlex00-09@gmail.com: „Lisa Horowitz ist eine KULTURMARXISTIN – ¡WEISSER GENOZID!“ lautet der Text der letzten, die laut Manny gerade erst eingegangen ist. Keiner weiß, wer dahinter steckt. „Fast alle E-Mails nannten Lisa namentlich und die erste war eingegangen, kurz nachdem sie uns für einen Diversitätsworkshop angemeldet hatte. Teilnahme verpflichtend, weshalb wir uns natürlich fragten, ob TruthFlex womöglich jemand von uns war. Aber soweit wir wussten, hatten wir nicht mal Republikaner im Büro, von Rechtsextremen der radikalen Sorte ganz zu schweigen.“

Irgendwas stimmt nicht in „Probelauf“ aus Zach Williams Band mit Erzählungen „Es werden schöne Tage kommen“. Draußen der Schneesturm und drinnen der Erzähler, der unten in der Lobby kurz „in einem Anfall von Hoffnung dachte … dass womöglich im gesamten Gebäude kein einziger Mensch war außer mir.“ Manny, der Sicherheitsmann im Eingang, nervt ihn, weil er mit ihm sprechen muss und weil er immer wieder mit seinem Balfour-Abkommen kommt, dass seiner Meinung nach das wichtigste Geschichtsdatum sei. Als der Erzähler sagt, er habe eine wage Ahnung, was das war, er hätte davon in der Schule gehört, sagt Manny: „Sie müssen selbst recherchieren. Ich sag nur: die Rothschilds. Follow the money.“

Shell, den der Erzähler kurz hinter seiner Wabe in dem Großraumbüro begrüßt, ist genauso gesprächig, beichtet dem Kollegen, was er gar nicht hören will, dass er sich von seiner Frau getrennt hat und die Nacht im Büro zubringen musste, was niemand erfahren darf. Eine Geschichte, die der Erzähler eigentlich verstehen müsste, ist er doch in der gleichen Lage. Auch seine Frau ist vor nicht allzu langer Zeit aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen. Statt ihr ist ein junge Mann, Bradt, eingezogen, der den ganzen Tag hinter dem Bildschirm sitzt und Computerspiele spielt. „Wenn schon die Jahre zwischen Bradt und mir unüberbrückbar schienen, was wäre erst mit der Generation nach seiner? Schwer vorstellbar, dass sie überhaupt noch menschlich sein würde – ich sah so etwas wie ein wogendes blaues Seeanemonenbeet vor mir.“

„Probelauf“ endet auf überraschende Weise. So überraschend wie Musk und Trump. Aber Antworten wie alles aus dem Ruder laufen konnte gibt der Text nicht. Zach Williams macht das, was Anton Tschechow von einer guten Erzählung erwartete: die richtigen Fragen zu stellen. Hier wird von der Gegenwart erzählt, spannend und immer ein wenig neben der Spur, was wiederum an Kafkas Texte erinnert mit ihrer leicht ver-rückten Wirklichkeit. So wie in „Das Sauerkleehaus“, in dem eine Familie mit Kind in einem abgeschieden Tal in einer Art Urlaubsgegend lebt. Doch im Laufe der Geschichte wird der Urlaub immer mehr zum problematischen Alltag. Das erste irritierende Element, das auftaucht, ist, dass der etwa einjährige Sohn der Familie körperlich und mental auf der Kleinkindstufe stehen bleibt. Und der Vater kann auf seinen Wanderungen aus dem Tal hinauf auf den Berg nichts anderes sehen als Berge und weitere Täler. Er vermutet deshalb, dass die Familie in einer virtuellen, endlosen Welt lebt. So grenzenlos wie in der Vorstellung des „Longtermism“, einer neuen US-amerikansichen Philosophierichtung, der auch Elon Musk und andere Tech-Milliardäre aus dem Silikon Valley anhängen. Die Philosophen dieser Richtung denken nicht nur über ein Verlassen der Erde und der Besiedlung anderer Planeten nach, sondern auch über die Transformation des Lebens in eine künstliche Intelligenz. Was für Musk & Co. ein Traumziel ist, stellt sich bei Williams als Hölle heraus. Das Problem: Was passiert, wenn das Leben keinen natürlichen Widerstand mehr kennt, keine Grenzen? Wenn sich eine Urlaubslandschaft an die andere reiht? Wenn die Ferien nicht mehr enden?

„Es werden schöne Tage kommen“ erzählt von Antihelden, von Scheiternden. Aber sie stellen die wichtigen Fragen. Weil Zach Williams Geschichten ein offenes Ende haben, denkt man noch lange über sie nach. Es sind Erzählungen, die einen adäquaten Ausdruck unserer heutigen, vom Kapitalismus und der US-amerikanischen Kultur geprägten Welt geben. Großartige Literatur, oft mit einer unerwarteten und bedrohlichen Entwicklung, unerwartet und bedrohlich nicht nur wie Musk und Trump.