Dulce Maria Cardoso: Eliete. Das einfache Leben

Wie erzählt man vom „normalen“ Leben? Wie sorgt man dafür, dass der Leser einen Roman, dessen Geschichte in ihrer Normalität, ja Banalität auch die seine sein könnte, weiterliest und nicht gelangweilt zur Seite legt? „Ich bin ich und Salazar kann mich mal“, heißt es zu Beginn von „Eliete. Das normale Leben“. „Ein Diktator regiert Portugal fast ein halbes Jahrhundert lang, fast weitere fünfzig Jahre vergehen seit seinem Tod, und dann taucht er in meinem Leben auf. Plötzlich war es so, als wäre er schon immer hier gewesen und hätte sich um alles gekümmert. Das konnte ich nicht zulassen.“ Ein fulminanter Anfang, der die Normalität, die schon im Titel des Romans „Eliete. Ein normales Leben“ angekündigt wird, für den Leser durch die Faszination der Macht und des Bösen interessant macht.

Doch dann verschwindet Salazar und taucht erst später wieder auf. Der Leser aber wird unwillkürlich weiter in das „normale“ Leben von Dulce Maria Cardosos Erzählerin Eliete hineingezogen. Mit ihrem Mann Jorge, einem Computerspezialisten, und ihren zwei Töchtern lebt sie in einem Ort in der Nähe von Lissabon. Die Töchter sind im Teenageralter und gehen noch zur Schule. Sie selbst arbeitet in einem Immobilienunternehmen. Von Außen gesehen scheint alles in bester Ordnung zu sein.

Doch Jorge interessiert sich nicht mehr für Eliete. Zwar schläft er noch mit ihr, aber mehr aus Gewohnheit als aus Leidenschaft. Sie leidet unter den fehlenden Aufmerksamkeit der früheren Zeit ihrer Beziehung. Auch ihre Töchter nabeln sich immer mehr von ihr ab, wollen immer weniger mit ihr zu tun haben. Dass sie sich bei Tinder anmeldet, hat dann weniger mit dem anonymen Sex zu tun, den die App vermittelt, sondern mehr mit der Mühe, die sich die Männer bei den Treffen in einem Motel für sie machen. Doch dann zieht ihre Großmutter, die wegen ihrer Demenz übergangsweise bei Eliete gewohnt hatte, in ein kleines Altenheim und Duarte, der Sohn der Besitzer, verliebt sich in sie.

Eliete ist eine Frau in der Krise. In Rückblenden erfährt der Leser von ihrer Kindheit, in der sie mit ihrer Mutter in beengten Verhältnisse bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist. Ihr Vater war früh bei einem Autounfall gestorben. Inzwischen hat die Mutter eine eigene Wohnung, aber Eliete meidet sie, weil sie alles enthält, „was ich nicht sein wollte, und was ich ironischerweise doch geworden war“. Durch genaue Beobachtungen und intelligente Kommentare ihrer Erzählerin macht Cardoso das normale Leben Elietes für jeden Leser interessant. Der nüchterne Blick, den ihre Erzählerin auf ihre Mitmenschen und sich selbst wirft, ist nie ganz ohne Empathie, vermeidet Klischees und platte Anklagen. Die Macht der Männer und der Vergangenheit ist dabei präsent, aber ohne dass sie sich über den eigenen Anteil an ihrer Misere täuschen würde.

Es ist die leer stehende Wohnung ihrer Großmutter, in der sich Eliete und Duarte heimlich treffen. Selbst ihrer besten Freundin Milena erzählt sie davon nichts. Milena ist eine gut aussehende, erfolgreiche Anwältin in Lissabon und lebt allein. Die Männer, mit denen sie zusammen ist, verschwinden immer wieder nach einiger Zeit aus ihrem Leben. In der Kanzlei gilt sie deshalb als „die Lewinsky“, jene Praktikantin, mit der Bill Clinton Sex im Oval Office hatte. Milena tut das Gerede im Büro ab und Eliete beneidet sie um ihren Mut und ihre Zielstrebigkeit. Aber wenn sie ihr von Tinder und Duarte erzählen würde, hätte sie „den einzigen Vorteil, den ich gegenüber der kämpfenden und siegenden Milena hatte“ verloren, nämlich ihre nach Außen hin intakte Familie. „Das durfte nicht sein. Wenn ich nicht mindestens einen Vorteil ihr gegenüber bewahrte, bedeutete das, dass ich bei allem versagt hatte.“

Dulce Maria Cardoso gelingt es in „Eliete. Das normale Leben“ eine Frau im heutigen Portugal mit ihrem banalen Alltag spannend und interessant zu schildern. Es ist ein Roman, der individuelle Probleme erzählerisch auf eine allgemeine Ebene hebt und dadurch für jeden interessant und spannend macht. Ein Roman, der Widersprüche nicht auflöst, sondern stehen lässt, sodass der Leser sich selbst ein Urteil bilden kann. Am Ende dann taucht Salazar, der portugiesische Diktator, wieder auf, jenseits des Klischees der Macht und des Bösen. Man ist nicht nur deshalb gespannt auf die Fortsetzung von Elietes Geschichte. Cardoso hat sie auf der letzten Seite angekündigt.