Nicht immer ist es von Vorteil, in der Öffentlichkeit zu stehen. Zumal, wenn man nichts anderes will, als zu schreiben. Keine Flugblätter, keine Manifeste, sondern Romane und Erzählungen. Denn der Verfolgungswahn von Diktatoren oder solchen, die es noch werden wollen, stürzt sich irgendwann auch auf die Literatur. Die Energie, mit der Staatsanwälte dann noch den hintersinnigsten Hintersinn in einem literarischen Text erkennen wollen, scheint unerschöpflich. Manche lesen die Bücher aber auch gar nicht mehr. Ihnen reicht, wenn jemand etwas behauptet, was irgendwie eine Anklage rechtfertig.
Die Verfolgung des 1979 in Batman geborenen türkisch-kurdischen Schriftsteller Yavuz Ekinci durch die Erdogan-Justiz ist so ein Fall. 2018 erschien sein Roman „Die Tränen des Propheten“ mit der Geschichte von Mehdi, der glaubt, ihm sei der Erzengel Gabriel erschienen. Seitdem hält er sich für einen Propheten und zieht erfolglos vor Klimawandel und Kriegen warnend durch die Sozialen Medien und die Straßen seiner Stadt. Eine Geschichte, die die Macher der rechten islamistischen Tageszeitung „Yeni Akit“ veranlasste, Ekinci Blasphemie vorzuwerfen. Was wiederum die türkische Staatsanwaltschaft auf ihn aufmerksam machte, die ihn 2022 wegen acht Tweets, die Ekinci zwischen 2012 und 2014 auf Twitter veröffentlicht hatte, anklagte. Belanglose Äußerungen und Wünsche zum kurdischen Neujahrsfest, die aber dem Richter für einen Prozess ausreichten, bei dem Ekinci zu andertalb Jahren auf Bewährung verurteilt wurde. Ein Urteil, das bis heute nicht rechtskräftig ist.
Dann, im März 2023, wurde Ekincis gerade auf Deutsch erschienener Roman „Die, deren Träume zerbrochen sind“ in der Türkei wegen angeblicher Terrorpropaganda verboten und beschlagnahmt. Absurderweise war das Buch bereits seit neun Jahren im Handel und offiziell 2014 auf der Frankfurter Buchmesse am Stand des türkischen Kulturministeriums vorgestellt worden. Nachdem Ekinci wegen der Anklage nun sieben Jahre Haft drohten, floh er vorübergehend nach Deutschland. Am 10. November diesen Jahres wurde das Verfahren wegen Verjährung eingestellt.
Es ist das erste mal, dass die Justiz Erdogans Literatur ins Visier nimmt. Alles deutet darauf hin, dass es dem türkischen Präsidenten und seiner Partei mit der Verfolgung des türkisch-kurdischen Autors darum geht, ein Exempel zu statuieren. Denn wie in „Die Tränen des Propheten“ ruft Ekinci auch in „Die, deren Träume zerbrochen sind“ in keiner Weise zu Gewalt auf. Im Gegenteil, der Roman stellt die Gewalt in Frage und ist vor allem Ausdruck des Leids im jahrzehntelangen Krieg zwischen PKK und türkischer Armee.
Das beginnt mit der Schilderung der Verlorenheit, in der Ismail seit achtzehn Jahren im Exil in Deutschland lebt. Nie ist sein Held und Ich-Erzähler hier richtig angekommen, nie hat er Batman, die Stadt, in der er geboren und als Lehrer gearbeitet hat, vergessen können. Aber sein Mut hat nicht ausgereicht, um sich der Guerilla anzuschließen. Nach dem Untertauchen von Yusuf trieb ihn dann die Angst vor Verhaftung und Gefängnis in die Fremde. Zuvor hatte ihn sein Vater verstoßen, der den bewaffneten Befreiungskampf ablehnt und überzeugt ist, das Ismail seinen Lieblingssohn überredet hat, in die Berge zu gehen.
Yavuz Ekinci lässt sich in „Die, deren Träume zerbrochen sind“ wie schon in „Die Tränen des Propheten“ von Motiven aus dem Koran inspirieren. Der Geschichte von Yusuf, dem arabischen Namen für Joseph, ist im Koran eine ganze Sure gewidmet. Und Ismail ist eine Anspielung auf den Sohn Abrahams, der als Prophet zu einem der Stammväter des Islam wurde. In Ekincis Roman kehrt Ismail nach achtzehn Jahren deutschem Exil nach Batman zurück. Sein Vater ist inzwischen alt und krank und er will noch vor seinem Tod seine Zuneigung wiedergewinnen. Dafür macht er sich auf die Suche nach Yusuf, um dem Vater das sehnlichst gewünschte Lebenszeichen seines Sohnes überbringen zu können. Denn seit er in den Bergen ist, hat die Familie kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten.
Über Freunde und Kontaktmänner versucht Ismail seinen Bruder hinter der irakischen Grenze aufzuspüren. Auf seinem Roadtrip mit Mini-Bussen und Pick-ups durch die Berge der Autonomen Region Kurdistan erfährt Ekincis Antiheld das ganze Elend des Kampfes zwischen PKK und türkischen Armee. Er beschreibt das Misstrauen der Menschen, die immer auf der Hut sind, damit der Feind nicht die Positionen von Guerillastellungen erfährt. In einer Nacht sucht Ismail ein Alptraum heim, in dem er gefoltert wird, weil man ihn für einen türkischen Spitzel hält. Und ein Mitreisender schimpft auf die kurdische Polizei, die an jeder Ecke den Bus gründlicher durchsuche als die türkische Armee auf der anderen Seite der Grenze. Auch der kurdische Nationalismus kommt Ismail inzwischen fremd vor.
Wie Mehdi in „Die Tränen des Propheten“ hat Ismail in „Die, deren Träume zerbrochen sind“ das Gefühl, unter einem Zuviel an Empathie zu leiden. Er bewundert die Enthusiasmus, mit der eine Journalistin, die ihm auf seiner Suche nach Yusuf weiterhilft, sich für die kurdische Sache einsetzt; aber ihm selbst entgleitet nach all dem Elend der Glaube an den Befreiungskampf. Stattdessen leidet er mit den drangsalierten Menschen. Schon allein deshalb ist der Roman keine Terrorpropaganda. Im Gegenteil, „Die, deren Träume zerbrochen sind“ ist ein melancholisches Buch. Eines, das das Leid und die Widersprüche im Befreiungskampf benennt. Kein Manifest, sondern ein Roman, der die Fragen, die die Wirklichkeit stellt, offen lässt. Der einfach nur gute Literatur ist.